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Budo und Aggressionsminderung

Kampfsport als Mittel zur Stärkung des Selbstvertrauens

Ich möchte erst mal mit einem weit verbreiteten Irrglauben aufräumen. Oft wird davon gesprochen, dass ein kontrolliertes Austoben im Kampfsport eine Möglichkeit ist, Aggressionen zu mindern.

Dazu wird häufig die Frustrations- Aggressionstheorie von DOLLARD ET AL (1939) angegeben, nach der Frustration Aggression nach sich zieht, die abgebaut werden muss. Auch das ‚Dampf-Ablassen’ von angestauten Aggressionen durch das Ventil Sport (wofür sich nach Ansicht vieler Autoren besonders der Kampfsport eignet) wird auf die Katharsis-Hypothese von LORENZ zurückgeführt. Beide Theorien konnten jedoch, sowohl aus sportwissenschaftlicher Sicht, als auch durch empirische Studien nicht überzeugend belegt werden, so dass von keiner Aggressionsminderung durch ein ‚Auspowern’ ausgegangen wird.


Viele Autoren sehen als möglichen Grund für die Verringerung der Gewaltbereitschaft von Kindern und Jugendlichen eher eine Stärkung des Selbstbewusstseins. PILZ führt ein vermindertes Selbstvertrauen und eine Sinnkrise in der Pubertät auf den Kampf der Jugendlichen mit sich und ihrem Körper zurück. Deswegen ist es für Jugendliche wichtig, ihren Körper kennen zu lernen und ihr Selbstkonzept und Körpergefühl zu stärken. Provokationen oder Bedrohung des Selbstwertgefühls werden häufig mit
Aggression und Gewalt beantwortet, um die eigene Unsicherheit zu verbergen, das eigene Selbstwertgefühl zu verbessern und um den eigenen Status zu stärken.

Der promovierte Sozialpädagoge WOLTERS schlägt deshalb Kampfsport als pädagogisch-therapeutische Gegenmaßnahme vor, die durch eine Stärkung des Selbstbewusstseins und Selbstvertrauens präventiv wirken kann.


Für PILZ ist der Kampfsport ein Mittel zur Gewaltprävention, weil Kampfsport, entgegen der bewegungsarmen Lebenswelt von Jugendlichen, spannungsgeladene Erlebnismöglichkeiten und die
Gelegenheiten zu positiver Identitätsfindung bietet. Dazu sollten sich die Angebote inhaltlich an Bewegungsstrukturen orientieren, die eine Erfahrung von Risiko und Abenteuer durch eine Verknüpfung
mit Bewegungserfahrungen und ‚spannenden Techniken’ ermöglichen und das Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein aufbauen. Denn Budo wirkt für viele Jugendliche spannend und kann auch inhaltlich
an ihrem Action-Bedürfnis ausgerichtet werden. Das gesteigerte Selbstvertrauen durch die Verteidigungsfähigkeit im Ernstfall kann zu einer gewissen Gelassenheit und Verminderung der Gewaltbereitschaft führen. Das kann daher kommen, dass die Angst abgebaut wird, die Auslöser von
aggressiven Handlungen sein kann.


NEUMANN sieht Kampfkunst und Kampfsport ebenfalls als pädagogisch wertvolle Methode, da neben der Förderung der persönlichkeitsbildenden Aspekte, wie dem Erlernen von Respekt, Höflichkeit und Rücksicht, auch eine Erweiterung der Lebenskompetenzen, der Selbstbeherrschung und die Stärkung des
Selbstwertgefühls erreicht werden kann.

Es gibt auch Gegenstimmen: GOLDNER sieht Kampfsport eher als Möglichkeit für gewaltbereite Jugendliche, die fasziniert von den schädigenden Wirkungen sind, Techniken zur Verletzung in Straßenkämpfen zu perfektionieren. Wissenschaftlich belegt werden seine Aussagen nicht.


Empirische Studien zu den Auswirkungen von Kampfsport


Trotz einer Fülle von Literatur zu Budosportarten gibt es wenige Arbeiten, die empirisch die Auswirkungen ihrer Konzepte auf das Gewaltverhalten bzw. die -bereitschaft untersuchen. Es wird viel über die pädagogischen Werte und die Wirkungen von Kampfsport und seiner möglichen erzieherischen Bedeutsamkeit geschrieben. Es wird dann oftmals pauschal von der gewaltpräventiven Funktion
von Kampfsport ausgegangen, wobei hauptsächlich die Argumente der Wirkung von Kampfsport auf Geduld, Fairness, Disziplin, Verantwortungsbewusstsein oder Selbstvertrauen zitiert werden. Um diese
Hypothesen tatsächlich zu begründen, werden jetzt erstmalig einige Studien betrachtet, die den Einsatz von Kampfsport zur Verminderung von Gewaltverhalten und -bereitschaft empirisch belegt haben.

Anti-Aggressivitäts-Training im Jugendstrafvollzug durch. Durch den Vorher/Nachher-Vergleich der mit Fragebögen ermittelten Daten konnten Veränderungen bei den Probanden durch das Anti-Aggressivitäts-Training festgestellt werden. Die Ergebnisse ergaben einen offensichtlichen Zusammenhang zwischen
dem Abbau der Gewaltbereitschaft bzw. der Aggressivität und dem Kampfsporttraining, was auf die Teilnahme an dem praktischen Teil des Anti-Aggressivitäts- Trainings zurückzuführen sei. So konnte
laut WOLTERS die Hypothese, wonach das sporttherapeutische Training auf Grundlage
traditioneller asiatischer Kampfkünste zu einer systematischen Förderung psychophysischer
Selbstbeherrschung und damit zu einer Reduktion der Gewaltbereitschaft und Aggressivität führt, bestätigt werden. Da sich das Konzept als praktisches Anti- Aggressivitäts-Training bewährt und zu „[…]
wissenschaftlich nachgewiesenen Effekten […]“ geführt hat, stellt WOLTERS Budo als Möglichkeit der Gewaltprävention dar.

Als wesentlicher Einfluss wird die Dauer des Kampfsporttrainings auf eine Veränderung des Gewaltverhaltens und der -bereitschaft gesehen. Wenn also von einem wirksamen Einfluss ausgegangen
werden soll, muss man beachten, dass der Effekt umso größer ist, je länger die entsprechende
Sportart ausgeübt wird.

NOSAN CHUK und MACNEIL (1989) verglichen die Aggressivitätswerte von Ausübenden der Systeme Karate, Taekwondo und Ju Jitsu, die zum einen in „klassischen“ und zum anderen in „modernen“
Schulen lernten. Mit Zunahme des Könnens und des Trainingsstandes fanden die Autoren bei den traditionell lernenden Kampfsportschülern kleinere Aggressivitätswerte als bei denen, die in
modernen Schulen lernten. Hieraus folgt, dass das Erlernen von Kampfsport zwar aggressionsmindernd sein kann, es durch Unterschiede in der Ausbildung und der Werteerziehung aber zu differenzierten
Aggressivitätsniveaus kommen kann.

SKELTON , GLYNN und BERTA (1991) stellten fest, dass sich allgemein mit zunehmender Gürtelgraduierung Aggressionen vermindern.

CLAUSS (2005) verfasste seine Diplomarbeit über Ju-Jutsu als Schulsport. Zusammenfassend stellte er fest, dass das Unterrichtsvorhaben insgesamt zu „…positiven Ergebnissen…“ geführt hat.

Fazit

Kampfkunst und Kampfsport bieten abhängig von der Dauer des Trainings sicherlich gute Möglichkeiten zur Persönlichkeitsentwicklung und zum Erlernen von traditionellen Aspekten ‚des Weges’ der Kampfkünste und führen somit zu einer eher distanzierten Einstellung zu gewalttätigen Handlungen. Andererseits werden nach Ansicht JANALIKs gerade in der Anfängerphase viele Möglichkeiten zum besseren Selbsterkennen und zur Entwicklung eines Partner- und Körperverständnisses geschaffen.
Die theoretischen Überlegungen zur Stärkung des Selbstvertrauens und eines positiven Selbstkonzeptes könnten auch in kürzerer Zeit geschult werden und wirken als Argument für eine Minderung der Gewaltbereitschaft plausibel und nachvollziehbar.

Quellen:
CLAUSS , A. (2005): Ju-Jutsu im Schulsport
GOLDNER, C.G. (1991): Fernöstliche Kampfkunst
HENNEKE, T. (2007) Auswirkung von Kampfsport auf die Gewaltbereitschaft, Diplomarbeit an der DSHS
PILZ, G.A. (2001): Judo – eine Chance in der Gewaltprävention?
WOLTERS, J.-M. (1992): Kampfkunst als Therapie.

Andreas Güttner, Diplomsportlehrer

Erschienen im Ju-Jutsu-Journal im April 2010

Komm gleich vorbei in RoninZ Kampfkunstschule, Sontheimerweg 4, 88250 Weingarten

Telefon: 0751.270.889.42

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